Der Zusammenhang zwischen Existenzangst und Perfektionismus
…eine therapeutische Betrachtung
Existenzangst und Perfektionismus sind zwei Themen, die häufig Hand in Hand gehen. Viele Menschen, die unter Existenzängsten leiden, zeigen auch perfektionistische Züge, und umgekehrt. Als erfahrene Verhaltenstherapeutin sehe ich oft, wie diese beiden Phänomene miteinander verflochten sind und sich gegenseitig verstärken. In diesem Beitrag möchte ich erläutern, wie Existenzangst und Perfektionismus zusammenhängen, welche Dynamiken dabei wirken und wie man aus diesem Teufelskreis ausbrechen kann.
Was ist Existenzangst und was ist Perfektionismus?
Existenzangst beschreibt die Sorge, die eigene Existenzgrundlage zu verlieren. Diese Angst kann sich auf finanzielle Unsicherheit, den Verlust des Arbeitsplatzes oder die Unfähigkeit, grundlegende Bedürfnisse zu sichern, beziehen. Existenzängste sind oft mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts verbunden und gehen mit starken negativen Emotionen einher, die das Leben erheblich beeinträchtigen können.
Perfektionismus hingegen beschreibt das Streben nach makelloser Leistung und die ständige Angst davor, Fehler zu machen oder Erwartungen nicht zu erfüllen. Perfektionisten haben extrem hohe Ansprüche an sich selbst und glauben oft, dass sie nur dann wertvoll sind, wenn sie perfekt sind und keine Schwächen zeigen. Diese Überzeugungen führen zu einem ständigen Druck, der oft zu Überforderung, Erschöpfung und emotionaler Belastung führt.
Wie hängen Existenzangst und Perfektionismus zusammen?
Der Zusammenhang zwischen Existenzangst und Perfektionismus lässt sich auf mehrere Ebenen erklären. Ein zentraler Aspekt ist das Bedürfnis nach Kontrolle. Menschen, die unter Existenzängsten leiden, haben oft das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Um dieses Gefühl der Unsicherheit zu kompensieren, versuchen sie, durch Perfektionismus wieder Kontrolle zu erlangen. Sie glauben, dass sie nur dann sicher und wertvoll sind, wenn sie alles perfekt machen und keine Fehler zulassen.
Perfektionisten neigen dazu, ihre Selbstachtung und ihren Selbstwert an ihre Leistung zu knüpfen. Das bedeutet, dass sie nur dann ein positives Gefühl über sich selbst haben, wenn sie erfolgreich sind und die Erwartungen erfüllen. Existenzängste verstärken diesen Druck noch zusätzlich. Die Angst vor finanzieller Unsicherheit oder dem Verlust des Arbeitsplatzes führt dazu, dass Perfektionisten noch härter arbeiten, um sich selbst und anderen zu beweisen, dass sie genug sind und es verdienen, anerkannt zu werden. Dieser Druck kann jedoch schnell zu einem Teufelskreis führen: Je mehr sie sich bemühen, perfekt zu sein, desto stärker wird die Angst, nicht zu genügen.
Ein weiterer Zusammenhang zwischen Existenzangst und Perfektionismus besteht in der Angst vor Ablehnung. Perfektionisten haben oft eine tiefe Angst davor, nicht gut genug zu sein und von anderen abgelehnt zu werden. Diese Angst ist eng mit Existenzängsten verknüpft, da sie glauben, dass sie nur dann eine sichere Existenz haben, wenn sie von anderen akzeptiert und anerkannt werden. Das führt dazu, dass sie sich ständig bemühen, die Erwartungen anderer zu erfüllen, um sich deren Anerkennung und damit auch ihre eigene Sicherheit zu sichern.
Die Auswirkungen auf das Leben
Der Zusammenhang zwischen Existenzangst und Perfektionismus kann tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben. Menschen, die unter beiden leiden, sind oft in einem ständigen Zustand der Anspannung und Überforderung. Sie haben das Gefühl, immer mehr leisten zu müssen, um sicher und wertvoll zu sein, und gönnen sich kaum Pausen oder Erholungsphasen. Das führt zu chronischem Stress, Erschöpfung und körperlichen Symptomen wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Magenproblemen.
Auch das soziale Leben leidet häufig unter dieser Dynamik. Perfektionisten haben oft Schwierigkeiten, ihre eigenen Bedürfnisse zu äußern oder um Hilfe zu bitten, weil sie Angst haben, als schwach oder unfähig wahrgenommen zu werden. Das führt dazu, dass sie sich isolieren und versuchen, alles alleine zu bewältigen. Die Existenzangst verstärkt dieses Verhalten noch, da die Betroffenen glauben, dass sie keine Schwäche zeigen dürfen, um ihre Sicherheit nicht zu gefährden. Diese Isolation kann zu einem Gefühl der Einsamkeit und der emotionalen Erschöpfung führen.
Beruflich sind Menschen, die unter Existenzangst und Perfektionismus leiden, oft sehr erfolgreich, zumindest auf den ersten Blick. Sie sind fleißig, zuverlässig und bereit, hart zu arbeiten. Doch dieser Erfolg hat seinen Preis. Der ständige Druck, perfekt zu sein, führt oft dazu, dass sie ihre eigenen Grenzen nicht erkennen und sich selbst überfordern. Langfristig kann dies zu einem Burnout führen, da die Betroffenen ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen ignorieren und immer weiter versuchen, den hohen Anforderungen gerecht zu werden.
Wie kann man aus diesem Teufelskreis ausbrechen?
Der erste Schritt, um aus dem Teufelskreis von Existenzangst und Perfektionismus auszubrechen, besteht darin, sich bewusst zu machen, dass Perfektion nicht möglich ist. Niemand ist perfekt, und es ist auch nicht nötig, perfekt zu sein, um wertvoll zu sein. In der Verhaltenstherapie arbeiten wir daran, die unrealistischen Ansprüche, die Perfektionisten an sich selbst stellen, zu hinterfragen und realistischere Überzeugungen zu entwickeln. Es geht darum, zu lernen, dass Fehler menschlich sind und dass sie nichts über den eigenen Wert aussagen.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist es, die eigenen Ängste anzuerkennen und sich Unterstützung zu holen. Viele Menschen schämen sich für ihre Existenzängste und ihren Perfektionismus und glauben, dass sie alleine damit klarkommen müssen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Unterstützung von anderen kann helfen, die eigenen Ängste zu relativieren und neue Perspektiven zu entwickeln. In der Therapie geht es oft darum, die eigenen Gedankenmuster zu erkennen und zu verändern und sich selbst mit mehr Nachsicht und Mitgefühl zu begegnen.
Auch das Setzen realistischer Ziele spielt eine große Rolle. Perfektionisten neigen dazu, sich unerreichbar hohe Ziele zu setzen und sich selbst dafür zu bestrafen, wenn sie diese nicht erreichen. Stattdessen sollten kleine, erreichbare Ziele gesetzt werden, die Schritt für Schritt zu Erfolgen führen. Jeder erreichte Erfolg, sei er auch noch so klein, trägt dazu bei, das Selbstvertrauen zu stärken und die Angst vor dem Versagen zu reduzieren.
Entspannungstechniken und Achtsamkeit können ebenfalls hilfreich sein, um den ständigen Druck und die Anspannung zu reduzieren. Oft sind es gerade die kleinen Momente der Ruhe und Entspannung, die dazu beitragen, wieder ein Gefühl der Kontrolle und Sicherheit zu gewinnen. Durch Achtsamkeit lernen Betroffene, im Hier und Jetzt zu leben und sich nicht ständig Sorgen über die Zukunft zu machen.
Fazit
Der Zusammenhang zwischen Existenzangst und Perfektionismus ist komplex und kann das Leben stark belasten. Beide Phänomene verstärken sich gegenseitig und führen zu einem Teufelskreis aus Angst, Druck und Überforderung. Doch es ist möglich, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Der erste Schritt besteht darin, sich selbst ernst zu nehmen und den Mut zu haben, Unterstützung anzunehmen. Mit der richtigen therapeutischen Begleitung, realistischen Zielen und der Bereitschaft, sich selbst mit mehr Nachsicht und Mitgefühl zu begegnen, ist es möglich, die Existenzangst zu reduzieren und den Perfektionismus loszulassen. Veränderung beginnt mit dem ersten Schritt – und dieser Schritt kann der Beginn eines freieren, entspannteren Lebens sein.