Unterstützung finden: Warum man sich nicht schämen sollte
…um Hilfe zu bitten
Es ist eine weit verbreitete Überzeugung, dass wir stark sein müssen, alles alleine bewältigen sollten und dass das Bitten um Hilfe ein Zeichen von Schwäche ist. Diese Annahme ist nicht nur falsch, sondern auch schädlich – sowohl für unsere psychische Gesundheit als auch für unser Wohlbefinden. In meiner langjährigen Erfahrung als Verhaltenstherapeutin habe ich unzählige Male gesehen, wie Menschen, die unter dem Druck stehen, „alles alleine schaffen zu müssen“, unnötig leiden. Dabei ist es nicht nur normal, sondern auch gesund, sich Unterstützung zu holen.
Der Gedanke, um Hilfe zu bitten, fällt vielen Menschen schwer. Sei es aus Angst, als schwach oder unfähig wahrgenommen zu werden, oder weil sie das Gefühl haben, ihre Probleme selbst bewältigen zu müssen. Doch in der Realität ist das Gegenteil der Fall: Sich Unterstützung zu suchen, ist ein Zeichen von Mut und Selbstfürsorge.
Warum fällt es so schwer, um Hilfe zu bitten?
Die Angst davor, als schwach oder hilflos wahrgenommen zu werden, sitzt tief. In unserer Gesellschaft wird oft betont, dass „Selbstständigkeit“ und „Unabhängigkeit“ besonders wertvoll sind. Schon in jungen Jahren lernen wir, dass es bewundernswert ist, Dinge alleine zu schaffen, ohne andere zu belasten. Dieses Denken kann dazu führen, dass viele Menschen glauben, ihre Probleme still und heimlich bewältigen zu müssen.
Es gibt auch die Angst vor dem Urteil anderer. Viele Menschen fürchten, dass das Eingeständnis, Hilfe zu benötigen, sie in den Augen anderer herabsetzt. Sie denken: „Was, wenn sie glauben, ich sei schwach?“ oder „Was, wenn sie denken, ich komme nicht mit meinem Leben klar?“ Diese Bedenken halten viele davon ab, die Unterstützung zu suchen, die sie dringend brauchen.
Eine weitere häufige Hürde ist die Scham. Besonders bei psychischen Problemen wie Depressionen, Angststörungen oder Burnout erleben Betroffene oft das Gefühl, dass sie versagt haben. Es ist schwer zu akzeptieren, dass man sich in einer Krise befindet, und es fällt vielen Menschen schwer, den ersten Schritt zu tun und sich einzugestehen, dass professionelle Hilfe notwendig ist.
Hilfe als Stärke, nicht als Schwäche
Einer der wichtigsten Schritte, den wir in der Verhaltenstherapie gemeinsam mit den Betroffenen unternehmen, ist die Veränderung dieser tief verankerten Überzeugungen. Es geht darum, das Bild von „Stärke“ und „Schwäche“ neu zu definieren. Sich Unterstützung zu holen, ist kein Zeichen von Versagen, sondern ein Akt der Selbstfürsorge. Wer Hilfe sucht, zeigt, dass er sich seiner Situation bewusst ist und Verantwortung für sein Wohlbefinden übernimmt.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen gebrochenen Arm. Würden Sie sich schämen, zum Arzt zu gehen? Wahrscheinlich nicht. Sie würden erwarten, dass der Arzt Ihnen hilft, den Arm zu heilen, weil es klar ist, dass Sie den Bruch nicht alleine reparieren können. Warum sollte es bei emotionalen oder psychischen Herausforderungen anders sein?
Psychische Gesundheit ist genauso wichtig wie körperliche Gesundheit, und manchmal brauchen wir Unterstützung, um uns besser zu fühlen und den Herausforderungen des Lebens gewachsen zu sein. Sich Hilfe zu holen, ist nicht nur ein sinnvoller Schritt, sondern oft der einzige Weg, um nachhaltig Heilung zu finden und das eigene Leben wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
Die Rolle der Verhaltenstherapie
In meiner Arbeit als Verhaltenstherapeutin erlebe ich oft Menschen, die zunächst zögern, Hilfe zu suchen. Doch sobald sie diesen ersten Schritt getan haben, sind sie oft erstaunt über die positiven Veränderungen, die möglich werden. Verhaltenstherapie bietet einen sicheren Raum, in dem Menschen über ihre Ängste, Sorgen und Herausforderungen sprechen können, ohne beurteilt zu werden. Es ist ein Ort des Verständnisses, der Unterstützung und der praktischen Hilfe.
Die Therapie hilft den Betroffenen nicht nur dabei, ihre Probleme zu verstehen, sondern auch dabei, konkrete Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Ein wichtiger Teil der Therapie ist es, neue Sichtweisen auf Probleme zu gewinnen und festgefahrene Denkmuster zu durchbrechen, die oft zu einem Gefühl der Hilflosigkeit führen.
Unterstützung im Alltag: Das Netz der sozialen Beziehungen
Es ist nicht nur wichtig, professionelle Hilfe zu suchen, wenn man sich in einer Krise befindet, sondern auch das soziale Netz, das uns umgibt, zu nutzen. Freunde, Familie und vertraute Menschen sind oft eine wertvolle Quelle der Unterstützung. Viele Menschen scheuen sich jedoch, auch hier um Hilfe zu bitten, weil sie befürchten, zur Last zu fallen oder ihre Angehörigen zu überfordern.
Doch die Wahrheit ist, dass die Menschen, die uns nahe stehen, oft gerne helfen möchten. Es gibt ihnen das Gefühl, gebraucht zu werden und einen positiven Unterschied im Leben der Person machen zu können. Wer sich öffnet und mit seinen Nächsten über seine Sorgen und Ängste spricht, zeigt nicht nur Vertrauen, sondern stärkt oft auch die Beziehung.
Wichtig ist es jedoch, klar zu kommunizieren, welche Art von Unterstützung man braucht. Manchmal reicht es schon, einen Gesprächspartner zu haben, der einfach zuhört. In anderen Fällen braucht man vielleicht jemanden, der praktische Hilfe anbietet – sei es bei alltäglichen Aufgaben oder in schwierigen Lebensphasen. Offenheit und ehrliche Kommunikation sind der Schlüssel, um die Unterstützung zu bekommen, die man wirklich braucht.
Die Bedeutung des ersten Schrittes
Der schwierigste Teil des Hilfeholens ist oft der erste Schritt. Sich einzugestehen, dass man Unterstützung braucht, und dann aktiv danach zu suchen, erfordert Mut. Doch sobald dieser Schritt getan ist, wird es leichter. Viele Menschen stellen fest, dass sie nicht allein sind und dass es viele Möglichkeiten gibt, Unterstützung zu finden – sei es durch Therapie, Selbsthilfegruppen oder durch ihr persönliches Umfeld.
Es ist wichtig, den Gedanken loszulassen, dass das Bitten um Hilfe ein Zeichen von Schwäche ist. Im Gegenteil, es zeigt, dass man sich selbst genug wertschätzt, um die Unterstützung zu suchen, die man braucht, um gesund zu bleiben – emotional, psychisch und körperlich.
Fazit: Hilfe annehmen ist ein Zeichen von Stärke
Hilfe zu suchen ist kein Eingeständnis des Scheiterns, sondern eine mutige Entscheidung, die eigene Gesundheit und das eigene Wohlbefinden in den Vordergrund zu stellen. Niemand muss seine Herausforderungen allein bewältigen, und jeder verdient es, Unterstützung zu erhalten, wenn sie gebraucht wird.
In meiner Praxis habe ich immer wieder gesehen, wie sich das Leben von Menschen positiv verändert, sobald sie den Schritt wagen und Hilfe annehmen. Es ist ein Prozess, der Zeit braucht, aber es lohnt sich. Niemand sollte sich schämen, um Hilfe zu bitten – es ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche.